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AutorenbildJulia von Grundherr

Hocker oder Sessel? Durch Irritation Ängste besprechbar machen - ein Beispiel aus der Krankenpflege


Jedem Change wohnt mehr oder weniger auch Unbehagen inne – je nach Betroffenheit und Persönlichkeit. Mit Einführung der generalistischen Pflegeausbildung (kurz gesagt der Zusammenfassung der drei Berufsbilder Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflege) ist viel Veränderung ins System gekommen: Krankenpflegeschulen und Betriebe müssen das Curriculum maßgeblich umstellen und mancherorts die Führungsstruktur ganz neu ordnen. Hilfreiche Veränderungsbegleitung lässt dabei Raum für Emotionen, damit Akzeptanz entstehen kann. Nicht jede*r möchte mit Kollegen oder Vorgesetzten über Ängste sprechen. Doch wie kann es gelingen, trotzdem einen Dialog zu schaffen, ohne eine Blockadehaltung zu provozieren?


Ich habe bei der Begleitung eines solchen Prozesses etwas Beeindruckendes erlebt.

Zwei Pflegeschulen sollten zu einer zusammengefasst werden, statt zwei Führungsteams konnte es nur noch eins geben. Die Neuverteilung der Positionen und Aufgabenfelder war bereits fix, als ich gebeten wurde, die Pädagog*innen bei der Teamwerdung zu begleiten. Ich begegnete einer Handvoll Menschen, die beteuerten, dass alle Schritte inhaltlich richtig und wichtig seien. Dass man jetzt einfach schauen müsse, wie man die Aufgaben am besten aufteile. Gesichter und Körperhaltungen aber spiegelten Unsicherheit, Frustration und Verzagtheit.


Bierkasten oder Bürostuhl?


Um einen spielerischen Zugang zu diesen tieferliegenden Schichten zu suchen, holte ich mir erstmal ein Augenrollen ab beim Hausmeister der Location. Denn ich bestellte neben den üblichen Stühlen im Workshopraum weitere, möglichst unterschiedliche Sitzgelegenheiten: einen Drehstuhl, einen Bierkasten, einen Gymnastikball, einen Sessel, einen Hocker etc.

Ein absichtlich irritierender Stuhlkreis, erfunden übrigens von meiner Lehrtrainerin Viola Zintl. Denn so waren wir von Sekunde 1 an mitten im Thema der Orientierung und Positionierung in neuem Umfeld: Hole ich mir einen der gewohnten Stühle vom Stapel in der Ecke und platziere ihn demonstrativ dazu? Nehme ich den Bierkasten, weil er nah an den Keksen steht und verzichte dafür auf eine Rückenlehne? Greife ich mir den gemütlichen Sessel oder den chefigen Drehstuhl? Oder probiere ich nach jeder Runde was anderes aus?


Visualisierte Irritation


Spontanes Reflektieren der jeweiligen Wahl brachte uns rasch an den Kern. Mancher war erstaunt oder gar erschrocken über die Symbolik der gewählten Sitzunterlage, andere hatten Spaß beim Austesten und wählten je nach Stimmungslage immer wieder neu. Das Setting diente uns als Rahmen des gesamten Workshops und wurde im Verlauf zu einer eigenen Sprache, deren Bedeutung nur die Anwesenden teilten. Als besonders starken Moment erinnere ich, wie die Kollegin, die sich anfangs leicht verschnupft einen der herkömmlichen Stühle geschnappt hatte, irgendwann aufstand und auf den Barhocker wechselte. Worte hätten das beginnende Aufbrechen ihrer ablehnenden Haltung nicht besser ausdrücken können.


Mit geklärten Gefühlen loslegen


Wir kamen insgesamt dreimal im Abstand von einigen Wochen zusammen, und entwickelten (1) die gemeinsame Vision der neuen Einrichtung, (2) die konkrete Aufgabenverteilung im Führungsteam und schließlich (3) den Plan zur Einbindung des Gesamtteams. Die Mannschaft hat sich gut zusammengefunden und navigiert das neue Schiff nun gemeinsam. Manchmal im Stehen, manchmal wippend und mit leichtem Drehwurm – aber stets in die gleiche Richtung.

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